Sinnesentwicklung bei Kindern

Kind schneidet mit Hilfe der Betreuerin Paprika

©StMELF/Tobias Hase

Immer mehr Kinder besuchen ab dem zweiten Lebensjahr eine Kindertageseinrichtung. Da die ersten Lebensjahre für die Geschmacksentwicklung sehr wichtig sind, ergibt sich die Chance, die Kinder im Sinne einer gesundheitsförderlichen Ernährung zu schulen, um langfristig die Akzeptanz einer ausgewogenen Verpflegung zu steigern.
Insbesondere das Kennenlernen und Akzeptieren von neuen Lebensmitteln erfordern Übung und Wiederholung und sind wichtige Bausteine im Prozess der Gewöhnung an eine ausgewogene Kost. Der nachhaltige, positive Effekt auf die Gesundheit der Kinder ist ein weiterer Pluspunkt.

Einflussfaktoren auf die Entwicklung des Geschmacks
  • Im Mutterleib erworbene Vorlieben (Geschmacksprägung vor und nach der Geburt)
  • Durch Vererbung verankerte Vorlieben und Abneigungen (angeborene Geschmackspräferenzen und -abneigungen)
  • Verankerte evolutionsbiologische Programme, die für eine sichere Lebensmittelauswahl bei Kindern sorgen, z. B. Neophobie: „Angst vor Unbekanntem“, Mere-Exposure-Effect: „Iss was Du kennst!“ und spezifisch-sensorische Sättigung: „Das hängt mir zum Hals heraus!“
  • Ab der Geburt durch einen lebenslangen soziokulturell beeinflussten Lernprozess erworbene Vorlieben und Abneigungen: vor allem Beobachtungslernen sowie innere und äußere Reize im Rahmen der gesamten Ernährungserziehung
Angeborene und erlernte Geschmacksvorlieben

Neben den wenigen angeborenen Geschmacksvorlieben und -abneigungen gibt es die erlernten Vorlieben und Abneigungen. Diese Lernprozesse beginnen schon vor der Geburt. Nach der Geburt setzt ein lebenslanger Lernprozess ein, der auch die Geschmacksbildung mit einschließt.
Es gibt verschiedene Lernprinzipien: Bei Kindern im Kindergartenalter steht an erster Stelle das Beobachtungslernen oder das Lernen am Modell. Vorbilder oder Modelle zum Ess- und Ernährungsverhalten erleben die Kinder bei gemeinsamen Mahlzeiten. Kinder ahmen enge Bezugspersonen wie Eltern, Großeltern, ältere Geschwister und Erzieher/innen sowie Freunde nach, das gilt auch für Ernährungsgewohnheiten. Den größten Einfluss haben nach wie vor die Eltern als Vorbilder für die Ernährungsgewohnheiten ihrer Kinder. So spiegelt sich beim Kind zu einem großen Teil das Essverhalten der Eltern wider, wenn Kinder vorrangig zuhause essen. Sobald Kinder im Rahmen der außerfamiliären Betreuung (z. B. in der Kita) täglich mehrere Mahlzeiten einnehmen, gewinnen außerfamiliäre Einflüsse bzw. Vorbilder mehr und mehr an Bedeutung.

Essen als Genuss mit allen Sinnen erleben

Es sind fünf Sinne zu unterscheiden, die maßgeblich an einem Geschmackserlebnis beteiligt sind.
Mit diesen fünf Sinnen nehmen die Kinder Kontakt mit der Umwelt und damit auch mit der Nahrung auf.
  • Augen
    Der erste Kontakt mit einem Lebensmittel wird meist über das Sehen hergestellt. Sehen ist der dominanteste Sinneseindruck, dies gilt auch beim Essen („Das Auge isst mit.“).
  • Nase
    Der Geruchssinn ist der empfindlichste und komplexeste menschliche Sinn und lässt sich im Gegensatz zu den anderen Sinnen wie Sehen und Hören nicht bewusst ausschalten.
  • Ohren
    Der Hörsinn wird als Einflussfaktor darauf, ob uns etwas schmeckt oder nicht, oft unterschätzt. Das Abbeißen und Kauen verursacht Geräusche, genau genommen Schallwellen. Wahrgenommen wird neben laut und leise auch die Art des Geräusches.
  • Finger und Mund
    Der Tastsinn der Hände und die Druck- und Tastwahrnehmung im Mund ergeben den haptischen Eindruck, den wir von einem Lebensmittel erhalten.
    Im Mund werden die fünf Geschmacksrichtungen süß, salzig, sauer, bitter und umami erfasst.
  • Geschmack
    Der Geschmackssinn stellt einen Schnelltest im Mund dar, der genusstaugliche und energiereiche von ungenießbarer und giftiger Nahrung unterscheidet.

Warum ist es so wichtig, die Sinne im Rahmen des Kita-Alltags zu trainieren?

  • Das sensorische Lernen ist wichtig für die Entwicklung eines individuellen Geschmacks.
  • Kinder erleben einen spielerischen Zugang zu Lebensmitteln, ihre Neugier und Experimentierfreude wird angesprochen.
  • Kinder akzeptieren dadurch leichter neue und unbekannte Lebensmittel.
  • Kinder lernen sinnliche Wahrnehmungen in Worte zu fassen. Kommunikationsprozesse werden angestoßen.
  • Kinder bekommen einen neuen Bezug zu Lebensmitteln, die Bedeutung und Wertschätzung von Lebensmitteln wird erhöht.
  • Die Einbindung von Sinnesritualen in die tägliche Mahlzeitensituation sichert die Nachhaltigkeit und den Effekt.
  • Die Sinne müssen, wie der Verstand entwickelt werden, dies ist ein lebenslanger Prozess, der besonders in den ersten Jahren geprägt wird.
  • Die Geschmacksentwicklung ist mehr als „schmecken lernen“, alle fünf Sinneseindrücke wie Sehen –Hören – Riechen – Schmecken –Tasten spielen zusammen.
Wie können die Sinne im Kita-Alltag erlernt werden? Was ist dabei zu beachten?
  • Sinnesrituale einführen, wie z. B. das Riechen von Obst oder Gemüse (z. B. Erdbeere oder Kohlrabi vom Rohkostteller). Unbekannte Lebensmittel immer wieder ohne Zwang probieren lassen.
  • Die Kita-Mahlzeit ist „Ort“ von Sinnesritualen.
  • Situativ agieren, gezielt in die Mahlzeitensituation integrieren, z. B. beim Mittagessen die Kinder bewusst oder auch mit geschlossenen Augen das frische Obst / Gemüse riechen und beschreiben lassen.
  • Regelmäßig und ohne großen Aufwand, das heißt möglichst integriert in die täglichen Kita-Mahlzeiten z. B. Gewürzdosen zuordnen, frische Kräuter fühlen und dazu Eigenschaften benennen, Zuordnungsspiele zu den Geschmacksrichtungen anbieten.
  • Sinne dabei nicht zu streng trennen. Jedes Kind ist diesbezüglich individuell ausgeprägt.
  • Es gibt kein richtig oder falsch, da Sinneswahrnehmungen individuell sind. Je häufiger die Sinne bewusst wahrgenommen werden, umso sicherer werden die Wahrnehmungen und Beschreibungen.
  • Auch die begleitende Person bei der Mahlzeit hat mit ihren eigenen individuellen Sinneserfahrungen Einfluss auf die Entwicklung der Ernährungsgewohnheiten der Kinder. Die Herausforderung ist es, diese eigenen Sinneserfahrungen und Präferenzen zurück zu nehmen und die Kinder möglichst eigene Erfahrungen machen zu lassen.
  • Rahmenbedingungen der eigenen Kita-Esssituation berücksichtigen. Das heißt z. B. Rahmenbedingungen wie Mahlzeitenablauf, Speiseraumsituation, Größe der Essensgruppe und Zeit für die Mahlzeiten berücksichtigen.
  • Umsetzung tischweise in Kleingruppen ist für das begleitende Personal einfacher.


Das regelmäßige Einbinden von Sinnesritualen in die Kita-Mahlzeit bietet ideale Chancen, den Geschmack und die Akzeptanz für ein gesundheitsförderliches Speisenangebot in Ihrer Kita zu fördern.
Aufgabe der Ernährungsbildung bei Kindern sollte sein, die „werdenden Esser” an die Hand zu nehmen und zu begleiten auf ihrem langwierigen Weg zum „gewordenen Esser” (Methfessel 2013).

Stand: November 2023

Literatur

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